
Erntedankfest – fast hätte ich’s vergessen
Einen Moment lang bin ich überrascht. Der Waldparkplatz füllt sich heute rasend schnell. Ich parke oft hier, wenn ich in meiner alten Heimat im Urlaub bin, aber dieses Bild kenne ich nicht. Beinahe im Sekundentakt spuckt die Parkplatzeinfahrt Autos mit den unterschiedlichsten Kennzeichen aus und wirft sie auf die Parkstreifen entlang des Waldes. Türen werden aufgerissen, Menschen steigen aus. Sie schnappen sich ihre Jacken von den Rücksitzbänken und die Rucksäcke aus dem Kofferraum ihrer Autos. Schnellen Schrittes hasten sie zum Eingang des benachbarten Museumsdorfes. Kinder werden genötigt, „jetzt doch mal ein bisschen schneller zu machen“. Bei diesem Bild regt sich leichter Widerstand in mir. Ich wollte hier doch eigentlich nur meine übliche Runde mit dem Hund drehen, vielleicht das eine oder andere Motiv fotografieren, aber vor allem: meine Ruhe haben. Dennoch frage ich mich, was hier heute los sein könnte, am einem ganz normalen Sonntag im Oktober.
Ganz normal? Nein, fällt’s mir plötzlich wieder ein. Kein normaler Sonntag, es ist Erntedankfest. Die Aufsteller mit der Werbung dafür habe ich schon vor einigen Tagen entdeckt. Ja, das ist heute. Der Hund kommt an die Leine und ich begebe mich in den Wald. Manche Menschen schauen mir hinterher, als würden sie nicht verstehen, warum ich in die falsche Richtung, nicht mit dem Strom, laufe. Ich bin in Gedanken schon längst beim eigentlichen Anlass dieses Menschenauflaufes: dem Erntedankfest.

Ein Fest aus Dankbarkeit
Die „Deutsche Bischofskonferenz“ hat 1972 für Deutschland einen Vorschlag unterbreitet: Am ersten Sonntag im Oktober soll das Erntedankfest stattfinden. Seit Jahrhunderten wird dieses traditionelle Fest in vielen Kulturen gefeiert, um Dankbarkeit für die Ernte und die Gaben der Natur auszudrücken. Es markiert das Ende der Erntesaison und dient als Symbol für den Kreislauf der Jahreszeiten, von der Saat im Frühling bis zur Ernte im Herbst. Und, wen wundert’s: In den meisten Fällen wird es in ländlichen Gegenden gefeiert, wo die Landwirtschaft und die Verbindung zur Natur eine zentrale Rolle spielen.
Das Erntedankfest symbolisiert die Verbindung des Menschen zur Natur und das Bewusstsein für die Zyklen des Lebens. Es ist eine Zeit, um innezuhalten und zu erkennen, dass die Natur uns versorgt. Es erinnert uns daran, wie wichtig Nachhaltigkeit und Respekt gegenüber der Umwelt sind. Christen begreifen die Früchte der Natur als Teil der Schöpfung und danken Gott für die geschenkte Nahrung.
Heute wird das Erntedankfest oft als Gelegenheit genutzt, um über die Fülle und das Geschenk der Natur nachzudenken, das hoffe ich zumindest. In einer zunehmend urbanisierten Welt erinnert es daran, wie sehr unser Leben von natürlichen Ressourcen abhängig ist, selbst wenn wir nicht direkt mit der Landwirtschaft in Berührung kommen. Es bietet auch einen Moment, um Dankbarkeit für alles, was die Natur uns gibt, zu empfinden – von Nahrungsmitteln bis hin zu den kleinen Wundern, die wir in der Natur erleben dürfen. Und ich, der dieses Fest in diesem Jahr fast vergessen hätte, komme mir ein wenig ertappt und eigensinnig vor.
Die Ernte des Naturfotografen
Ob man sich selbst nun als „Fotograf“ bezeichnet oder nicht: Wer mit der Kamera, dem Smartphone und offenen Augen in der Natur unterwegs ist, wird immer wieder auf besondere Momente stoßen, die die Natur uns schenkt. In Gedanken versunken mache ich mir bewusst, was ich in diesem Jahr an unvergesslichen Augenblicken in der Natur erleben durfte. Die Bilder davon sind meine „Ernte“. Drei von ihnen kommen mir spontan in den Sinn:
Der Fuchs

Da ist natürlich der Fuchs mit dem eingerissenen Ohr, der zu Hause nur darauf wartet, dass jemand wieder etwas Leckeres auf dem Komposthaufen ablegt. Diesen Fuchs kenne ich etwa seit drei Jahren. Hin und wieder lässt er sich vertraut blicken und erlaubt es, ihn zu fotografieren. Dann gibt es Tage und Wochen, in denen er wie vom Erdboden verschluckt ist. Irgendwann einmal dachte ich bereits, es wäre um ihn geschehen, weil er so lange nicht da war. Ja, die Freude war groß, als ich ihn eines Tages wiedergesehen habe. Ich hoffe, er kommt gut durch den Winter begleitet mich noch eine Weile.
Das Wildschwein

Es kommt nicht oft vor, dass ich auf meinen abendlichen Runden durch den Wald, ob mit Hund oder ohne, Wildschweine sehe. An diesem Abend im Frühjahr war’s aber soweit: Ich habe mich eher auf „gut Glück“ auf den Boden am Wegesrand gesetzt. Vor mir liegt ein Wildacker, der allerlei Pflanzen zu bieten hat und in dessen Boden bestimmt die eine oder andere Leckerei zu finden ist. Die milde Luft des Tages kühlte sich bereits ab, weil die Sonne hinter der Silhouette der Fichten verschwand. Plötzlich zog sie aus der Buchendickung auf die Wiese, die Bache. Während sie zunächst von mir keine Notiz nahm, drehte der Wind offenbar ein wenig. Ihr starrer Blick in meine Richtung verriet, dass ihr die Situation nicht geheuer war. Der Moment reichte aus für ein Bild. Dann drehte sie sich um, schnaubte ein paar Mal laut in die Abendluft und trottete davon.
Der Hase

Wenn ich unterwegs bin, gerade mit dem Auto, habe ich fast das ganz Jahr über alles dabei, was ich so brauche. Fotoausrüstung, alle möglichen Ladegeräte, Kabel und weiteres Technikgedöns, aber auch ein Grundbedarf an Kleidung und eine Campingausrüstung. Auf dem Gasbrenner erhitze ich mir gerade Teewasser und freue mich über die ersten Sonnenstrahlen. Die Nacht war etwas kälter als gedacht und fürs nächste Jahr sollte ich wohl über einen neuen Schlafsack nachdenken.
Aus den Augenwinkeln nehme ich auf der benachbarten kleinen Wiese eine Bewegung wahr, ein Hoppeln. Ich schaue gar nicht erst bewusst hin, sondern stelle den Brenner ab, greife nach der Kamera, schließe das große Objektiv an und robbe auf dem Boden zu den nächstgelegenen kleinen Kiefern. Vorsichtig, im Schneckentempo, drehe ich mich so auf die Seite, dass ich die Wiese einsehen kann. Tatsächlich, ein Hase. Und er hat mich nicht bemerkt. Ich mache mich fertig und stelle die Schärfe ein. Immer wieder muss ich das Bild vergrößern, denn die Sonnenstrahlen auf dem Hasenfell machen es mir nicht einfach zu beurteilen, ob das Bild wirklich scharf ist. Die Kamera liegt auf dem Boden, das Objektiv habe ich durch einen Fichtenzapfen leicht erhöht, so dass ich über die meisten Grashalme hinweg fotografieren kann. Obwohl mich der Hase nicht bemerkt, ist der Moment schnell vorbei. Er hoppelt weiter, so unbeschwert, wie er gekommen ist. Ich liege auf dem nassen Gras und bin glücklich.
Dankbarkeit für besondere Momente
Während meines Spaziergangs fallen mir noch zahllose weitere Begebenheiten ein. Ich weiß, es waren längst noch nicht alle. Es muss auch nicht immer ein Bild dabei entstanden sein. Manchmal sind es auch die verpassten Gelegenheiten, die einem im Gedächtnis bleiben. Ich mache mir bewusst, dass die Natur uns in jedem Moment etwas gibt. Es liegt an uns, diese Geschenke zu sehen und festzuhalten.
Ich finde, wenn man in der Natur fotografiert, ist man in einer besonderen Position: Man nimmt die Welt oft durch einen fokussierten Blick wahr, man sucht nach Details, Stimmungen und Lichtspielen, die vielen Menschen oft entgehen. Ich kann dabei nicht „durch die Natur hetzen“, sondern muss innehalten, mich mit der Umgebung verbinden und die Szene auf mich wirken lassen.
Dabei entsteht automatisch eine Form der Dankbarkeit. Ich bin dankbar für das Licht, das durch die Bäume bricht, für den Vogel, der plötzlich auf einem Ast sitzt, oder für den sanften Nebel, der sich über die Landschaft legt. Diese Momente wirken auf mich wie Geschenke, die mir die Natur macht, und sie schärfen mein Bewusstsein für die Schönheit um mich herum. Manchmal entsteht dabei ein Bild. Manchmal nicht.
Ein Fazit…
Dankbar zu sein, öffnet uns die Augen für die kleinen Wunder, die wir oft übersehen. Das bedeutet, dass Dankbarkeit in der Fotografie nicht nur eine Reaktion auf das Bild ist, sondern auch Teil des Prozesses. Sie hilft uns, sensibler und aufmerksamer zu sein und uns mit der Umgebung auf eine bestimmte Weise zu verbinden. Diese Dankbarkeit ermöglicht es uns, die Schönheit in den kleinsten Details zu erkennen und zu schätzen, die wir sonst vielleicht nie wahrgenommen hätten.
Passend dazu kam mir der Gedanke für ein neues Video: „Zeit der kleinen Wunder“. Dann neigt sich meine Runde dem Ende entgegen und ich komme wieder am Auto an. Mit vielen Gedanken und der Idee zu diesem Blog-Beitrag. Irgendjemand wird sich gleich freuen, dass hier ein Parkplatz frei wird.
Falls du jetzt auf meine Fotos neugierig geworden bist: In meiner Galerie, den NaturGeschichten, findest du eine Übersicht über die Bilder, die mir selbst am besten gefallen.
Übrigens: Nächstes Jahr ist das Erntedankfest am 5. Oktober. 🍂