
Manchmal denke ich, das Leben hat ein feines Gespür für Timing. Es hält Momente bereit, die dich überraschen oder sogar verändern. Aber vielleicht ist es gar nicht das Leben von außen. Vielleicht sind es kleine Stellschrauben im Inneren, die alles verändern: Wahrnehmungen, Begegnungen, Erlebnisse und auch Pläne. Insbesondere Herangehensweisen.
Jetzt aber erst einmal der Reihe nach.

Die Pläne, die ich hatte
Hätte ich vor einem Jahr einen Blick auf mein heutiges Ich werfen können, wäre ich wahrscheinlich erstaunt gewesen. Ich hätte mich selbst überrascht, denn der Mensch, der sonst so gern Pläne gemacht hat, der Struktur und einen klaren Weg für die Zukunft brauchte, war ich in den letzten Monaten nicht mehr. Im Gegenteil: Loslassen und darauf vertrauen, dass sich die Dinge irgendwann fügen, war wichtiger denn je. Und inzwischen habe ich, ganz entgegen meiner ursprünglichen Herangehensweise, auch einige Übung darin.
Doch Loslassen bedeutet nicht, sich treiben zu lassen, ohne Ziel und ohne Richtung. Klar, das Treibenlassen hat genauso seine Berechtigung und hilft bestimmt auch dabei, den Kopf freizubekommen. Aber das meine ich nicht. Es geht mir darum: Loslassen bedeutet vielmehr, einen gewissen Mut zu entwickeln. Den Mut, die Kontrolle nicht über jeden einzelnen Schritt behalten zu müssen. Es bedeutet, zu akzeptieren, dass sich nicht alles planen lässt und dass manchmal das Ungeplante die größte Bereicherung sein kann.
Ich hatte viele Pläne für das vergangene Jahr. Vielleicht sogar mehr als sonst. Ich hatte klare Vorstellungen davon, welche Projekte ich vorantreiben wollte, welche Ziele ich mir gesetzt hatte und wo ich mich am Ende des Jahres sehen würde. Ich hatte eine Art innere Landkarte, auf der ich die Meilensteine meiner Reise eingezeichnet hatte. Doch was ich nicht eingeplant hatte, waren die unerwarteten Abbiegungen, die mir das Leben präsentierte. Manchmal waren es kleine Umwege, manchmal plötzliche Richtungswechsel. Dinge entwickelten sich anders, als ich es vorgesehen hatte.
Neue Prioritäten schoben sich in den Vordergrund, unerwartete Möglichkeiten öffneten sich und plötzlich stand ich an einem Punkt, den ich vorher nie als Ziel definiert hatte. Und hier stellt sich eine der schwierigsten Fragen: Bin ich gescheitert, weil ich nicht dort angekommen bin, wo ich ursprünglich hinwollte? Oder liegt der eigentliche Erfolg nicht vielleicht genau in der Fähigkeit, sich anzupassen, neue Wege zu erkennen und aus dem Unerwarteten etwas Wertvolles zu machen?
Die Schönheit im Unfertigen finden
Wie oft hatte ich in der Vergangenheit gedacht, dass Zufriedenheit nur dann eintritt, wenn ich all meine Vorhaben umsetze, meine Pläne durchziehe und am Ende des Jahres eine Art Haken hinter alles setzen kann? Na ja, ganz so starr hab ich meine Pläne nie gesehen, aber die Richtung stimmt schon.
Doch das Leben funktioniert nicht nach Checklisten. Es ist nicht so linear, wie wir es uns wünschen. Und genau darin liegt seine Bedeutung.
Unfertiges ist nicht zwangsläufig gescheitert. Vielmehr ist es oft ein Zeichen dafür, dass etwas noch Raum zum Wachsen hat. Manche Dinge sind nicht dafür gemacht, in einem engen Zeitrahmen abgeschlossen zu werden. Sie dürfen sich entfalten, sich mit neuen Erfahrungen verweben, sich weiterentwickeln. Was heute unvollständig erscheint, kann morgen eine ganz andere Bedeutung haben.
Vielleicht ist das Unfertige nicht das Ende einer Idee, sondern eine Art natürlicher Zustand. Denn Wachstum bedeutet nicht, einen finalen Punkt zu erreichen, sondern immer wieder neue Perspektiven zu entdecken. Kreativität ist ein Prozess, kein Produkt. Sie lässt sich nicht in starre Zeitpläne pressen, sondern lebt von Bewegung, von Veränderung, von unerwarteten Impulsen. Lässt sich das nicht auch auf unser Leben übertragen?
Manche Dinge brauchen Zeit. Manche Wege müssen sich erst vor unseren Füßen formen, bevor wir sie beschreiten können. Und manchmal zeigt sich die wahre Schönheit nicht im abgeschlossenen Werk, sondern in den Möglichkeiten, die es weiterhin in sich trägt. Und in den zahllosen Erlebnissen links und rechts des geplanten Weges, die mir gezeigt haben: Ich bin lebendig!

Unerwartete Wendungen
Wenn ich zurückblicke, stelle ich fest: Die wertvollsten Erkenntnisse und Erlebnisse kamen nicht aus den Dingen, die ich geplant hatte. Sie entstanden aus Überraschungen.
Ich habe mich darauf eingelassen, für den Moment zu leben, ohne das große Ganze zu hinterfragen. Ich habe Erlebnisse aufgesogen und tief in mir abgelegt, anstatt auf Speicherkarten.
Aber auch die Fotografie hat mich an Orte geführt, die ich zuvor nie auf meiner Liste hatte. Während ich früher in bestimmten Motiven „festhing“, ließ ich mich plötzlich auf neue Perspektiven ein. Ein Beispiel war die Entdeckung eines Lost Places, an dem die Zeit stillstand. Zerfallene Mauern und Dächer, verrostete Metallreste, Wände voller Backsteine, die scheinbar ein Eigenleben führen. Überall Spuren menschlicher Geschichte. Dieser Ort war für mich mehr als „nur“ ein Motiv. Er war eine Metapher für das, was mich beschäftigte: das Unfertige, das Vergängliche, das sich stetig Wandelnde. Dieser Ort spiegelte meine Gedanken. Denn genau wie dieser Ort war auch mein letztes Jahr geprägt von Wandel, Brüchen und unerwarteten Entwicklungen. Geprägt von guten Entwicklungen!
Ich spürte dort etwas, das ich nicht hätte planen können. Momente des Staunens, ein Gefühl tiefer Verbundenheit mit der Vergangenheit dieses Ortes und gleichzeitig mit meiner eigenen inneren Entwicklung. Die Kamera wurde zum Medium, um nicht nur das Sichtbare, sondern auch das Unsichtbare festzuhalten: Das Gefühl, dass gerade die Dinge, die wir nicht erwarten, oft die größte Bedeutung haben.
Während ich im Schnee stand und fotografierte, stellte ich ganz nebenbei fest: Die schönsten Entdeckungen passieren oft auf ungeplanten Wegen. Manchmal hält das Leben für uns bereit, was wir nicht suchen. Und vielleicht ist es genau das, was wir brauchen.

Weniger Pläne, mehr Vertrauen
Ich habe im letzten Jahr gelernt, dass nicht jede Lücke gefüllt, nicht jeder Weg vorausgeplant sein muss. Manchmal braucht es weniger Pläne und mehr Vertrauen. Vertrauen in das Leben, in den eigenen Weg und in das, was sich entwickeln darf, wenn wir nicht alles im Voraus bestimmen. Vielleicht ist das sogar die wichtigste Lektion, die mir das Leben im vergangenen Jahr geschenkt hat.
Manchmal kommt eben das Leben dazwischen. Das ist oft weniger ein Hindernis, sondern eine Einladung, Dinge neu zu betrachten. Höre ich jetzt auf, Pläne zu schmieden? Nein, auf gar keinen Fall, das würde mich nicht erfüllen und ich benötige Pläne nach wie vor als Konstante in meinem Leben.
Aber wie so oft im letzten Jahr stelle ich immer wieder fest: Die schönsten Momente entstehen oft dann, wenn wir loslassen und uns auf das Unerwartete einlassen.
Hallo Leben, ich wäre dann bereit!